Sonntag, 14. Februar 2010

Anna Davis: The Jewel Box

London im Jahr 1927: Grace Rutherford arbeitet als eine der ersten weiblichen Werbetexterinnen bei einer Werbeagentur, doch insgeheim hat sie einen Nebenjob: sie schreibt als Diamond Sharp für eine große Londoner Tageszeitung eine Kolumne über das Londoner Nachtleben, Mode, was in und was out ist usw. Mit ihrer Arbeit unterstützt sie ihre Mutter, ihre verwitwete Schwester und deren Kinder. Dann lernt sie zwei faszinierende Männer kennen: den amerikanischen Schriftsteller Dexter O'Connell und den ebenfalls amerikanischen Journalisten John Cramer, den ein tragisches Geheimnis mit seinem Feind Dexter verbinden zu scheint...

Ich habe mir das Buch hauptsächlich wegen seines aufregenden und faszinierenden Handlungsortes ausgesucht: London! In den 20er Jahren, kurz vor dem Börsencrash! Wenn die Autorin das Buch wirklich gut recherchiert hat und die 20er Jahre in London tatsächlich so waren, wie sie hier beschrieben werden, muß ich sagen, daß ich wirklich überrascht war. Das Leben der Charaktere wirkt in vieler Hinsicht kaum anders als unser heutiges. Wer mit jemandem sprechen will, ruft ihn einfach an, wer irgendwo hinwill, nimmt das Auto oder ein Taxi oder auch die öffentlichen Verkehrsmittel...und Frauen dürfen (fast) alles, was Männer dürfen. Außer am Arbeitsplatz, denn da bekommt Grace mächtigen Ärger, obwohl sie eigentlich nichts schlimmeres macht als ihre männlichen Kollegen. Da bin ich schon sehr froh, daß das heute anders ist.

Trotzdem: mit den Erzählungen meiner Großmutter aus dieser Zeit oder auch meiner Mutter aus ihrer Jugend (meine Mutter ist Jahrgang 1940) hat das alles recht wenig gemeinsam: bis in die späten 40er oder frühen 50er Jahre des 20. Jahrhunderts hatte kaum jemand ein Telefon (tatsächlich hatte sogar ich in der Grundschule einige Klassenkameraden, deren Eltern keins hatten) und erst recht kein Auto: zu Fuß gehen oder Fahrrad fahren war angesagt, und das bei jedem Wetter und in jeder Jahreszeit. Aber London ist natürlich auch keine westfälische Kleinstadt, da werden sie schon fortschrittlicher gewesen sein.

Das Buch ist wirklich gut und flüssig geschrieben und auf keinen Fall langweilig: ich habe nur zwei Tage gebraucht, um es zu lesen. Aber Grace und ihre Erlebnisse ließen mich seltsam kalt, sie war mir weder sympathisch noch unsympathisch und ich hatte am Ende des Buchs überhaupt nicht das Gefühl, sie zu kennen. Vielleicht will die Autorin es so; auf jeden Fall ist auch Grace eigenartig distanziert zu ihrem eigenen Leben.

In einer Zeit, in der ein uneheliches Kind den völligen sozialen Abstieg, Verachtung von Freunden und Familie, und letzten Endes natürlich auch materielle Armut bedeutete, hat sie einfach bedenkenlos Sex mit einem Mann, dem sie nicht richtig vertrauen kann und von dem sie weder weiß, ob er eine gemeinsame Zukunft mit ihr in Erwägung zieht, noch ob sie bei ihm bleiben will. Zuvor - man erfährt es aus Rückblenden - hatte sie auch eine längere Affäre mit einem verheirateten Mann.

Ihren Job setzt Grace genauso bedenkenlos aufs Spiel, in dem sie es sich mit den Besitzern der Werbeagentur verdirbt und einfach mal tagelang gar nicht zur Arbeit geht. Und das, obwohl sie die einzige in ihrer Familie ist, die überhaupt ein Einkommen hat.

Am Ende des Buches muß sie quasi zu ihrem Glück gezwungen werden, weil sie wild entschlossen ist, den Mann, den sie liebt, mit einer anderen zu verkuppeln - obwohl die andere ihn gar nicht will.

Es hat mir schon Spaß gemacht, The Jewel Box zu lesen, aber alles in allem mag ich es doch lieber, wenn ein Buch von Charakteren bevölkert wird, die ich liebgewinnen kann und deren Schicksal mir nahegeht. Das ist hier leider nicht der Fall.

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